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Verbrechen an der Weiblichkeit

separee
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Irene Habich

Die Beschneidung von Mädchen ist ein schmerzhaftes und gefährliches Ritual ohne jeden Nutzen. Sie kann lebenslanges Leid nach sich ziehen und sogar tödlich ausgehen. Aktivistinnen, die als Kind beschnitten wurden, kämpfen heute zusammen mit Hilfsorganisationen gegen den Brauch.

  • Text: Irene Habich
    Fotos: Mama Afrika e.V. - mindcore production

Hadja Kitagbe Kaba hatte sich auf den Tag gefreut. Es würde Geschenke geben und eine Feier. Was genau sie erwarten würde, wusste sie nicht. “Du wirst schön, du wirst groß, du wirst sauber werden”, hatten die Erwachsenen ihr bloß gesagt. Dann führte man sie in eine Hütte, hielt sich fest, und schnitt unter furchtbaren Schmerzen ihre Klitoris weg. Sieben Jahre war sie da gerade erst alt.

Später verließ Hadja Kitagbe Kaba ihr Heimatland Guinea, um in Europa zu studieren. Dort wurde ihr klar: Ihr eigenes Schicksal wollte sie anderen Mädchen ersparen. Von Deutschland aus gründete sie den Verein Mama Afrika, der sich gegen die Genitalverstümmelung einsetzt. Hadja Kitagbe Kaba ist vor vier Jahren verstorben, doch es gibt ein Video, in dem sie über ihre Mission spricht. In ihrem Heimatland seien 88 Prozent der Frauen beschnitten: “Ich habe mir gedacht, man sollte etwas gegen diese Praktik unternehmen, denn die ist wirklich nicht gut”, sagt sie. Hadja Kitagbe Kaba spricht in dem Video auch darüber, dass es nicht einmal einen richtigen Namen für den Brauch gibt, und kleine Mädchen bis zum Tag ihrer Beschneidung nicht wüssten, was sie erwartet - ganz so wie damals sie: “Dieses Tabu macht die Beschneidung stark”, sagt sie. Hadja Kitagbe Kaba zählt auch die schlimmen Folgen der Genitalverstümmelung auf, über die viel zu wenig bekannt sei: “Frauen können ihr Baby verlieren, können inkontinent werden, Infektionen bekommen, Frauen können sterben. Diese Informationen fehlen bei uns.” Genau das hatte sie mit Mama Afrika ändern wollen.

Tiranke Diallo ist die Tochter von Hadja Kitagbe Kaba, sie führt die Arbeit von Mama Afrika seit dem Tod der Mutter zusammen mit ihrem Bruder weiter. Auch sie sagt: “Beschneidung ist ein großes Tabu. Selbst Mutter und Tochter reden nicht darüber.” Tiranke Diallo ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Dass ihre eigene Mutter beschnitten wurde, und was das bedeutet, wurde ihr erst wirklich bewusst, als diese Mama Afrika gegründet hatte.

Auch bei Besuchen in Guinea macht Diallo immer wieder die Erfahrung, dass es schwierig ist, das Thema dort überhaupt anzusprechen. Stark ist die Tradition vor allem bei der armen Bevölkerung mit wenig Bildung: Fast 70 Prozent der Menschen in Guinea können nicht lesen und schreiben. Es gebe nicht einmal ein Wort für Klitoris, kaum Aufklärung, aber sehr viel Scham, sagt Tiranke Diallo. “Und weil auch niemand offen über die gesundheitlichen Probleme redet, die nach der Beschneidung auftreten, werden diese oft nicht damit in Zusammenhang gebracht.”

Dafür gibt es umso mehr absurden Irrglauben, mit dem das Ritual gerechtfertigt wird. In manchen Kulturen glaubt man, dass unbeschnittene Frauen nicht schwanger werden können. Oder gar, dass die Berührung eines Kitzlers bei der Geburt das Baby töten könne.

Tatsächlich ist es genau umgekehrt: Viele beschnittene Frauen werden durch Infektionen unfruchtbar. Ein normales Gebären ist oft nicht mehr möglich, und Mutter und Kind können sterben, weil Narbengewebe die Geburtswege verengt.

Unbeschnittene Frauen werden als “unrein” angesehen, dabei kommt es erst durch die Beschneidung zu dauerhaften Abszessen und eitrigen Wunden, zum Rückstau von Urin und Menstruationsblut. Viele Frauen werden inkontinent. In einigen Kulturen entspricht die verstümmelte Vulva dem Schönheitsideal – dabei drohen unschöne Narben und Wucherungen das Geschlecht zu entstellen.

Nicht zuletzt gibt es den Glauben, dass eine Frau mit normalen sexuellen Empfinden automatisch zur Prostituierten werde. Nach dem brutalen Eingriff ist Sex dann oft nur noch unter starken Schmerzen möglich.

Während sich die irrwitzigen Mythen hartnäckig halten, ist über die realen Folgen der Praxis viel zu wenig bekannt. Das wollen Vereine wie Mama Afrika ändern. Der Verein hat in Kankan, der drittgrößten Stadt in Guineas, einen Kindergarten eröffnet, der als Informationszentrum dient, eine Schule ist in Planung. Dort gibt es Info-Veranstaltungen zum Thema Beschneidung und die Erzieherinnen sind darin geschult, über die Gefahren aufzuklären.

Die Einrichtungen von Mama Afrika sollen offen für alle sein, also auch für Familien, die an dem Brauch festhalten. “Die Tradition ist tief verwurzelt und der gesellschaftliche Druck, junge Mädchen beschneiden zu lassen, ist groß”, sagt Tiranke Diallo. “Wir betreiben daher Aufklärung, aber wir verurteilen niemanden”.

Es sei trotzdem wichtig, in Kindergarten und Schule über die Folgen der Beschneidung zu informieren und das Selbstbewusstsein junger Mädchen und Frauen zu stärken. “Wir denken sehr langfristig”, sagt Diallo. “Wir hoffen, dass diese Generation es nicht mehr mit ihren Kindern macht.“

Nach Schätzungen von UNICEF sind 200 Millionen Frauen weltweit von der “Female genital Mutilation” (FGM), der Genitalverstümmelung betroffen. Offizielle Zahlen gibt es nicht, es könnten noch deutlich mehr sein. Seinen Ursprung hat das Ritual wahrscheinlich im alten Ägypten, später breitete es sich in vielen Ländern Afrikas aus. Dort sollte es wohl die Polygamie, die Vielehe sichern. Indem man das Lustempfinden der Frauen zerstörte, wollte man sicherstellen, dass nicht mehrere Frauen Ansprüche an einen Ehemann stellen, die er nicht befriedigen kann.

Obwohl die Genitalverstümmelung zum Teil mit dem muslimischen Glauben begründet wird, ist sie viel älter als der Islam und im Koran steht nichts davon. Zudem gibt es viele muslimische Kulturen, in denen die Beschneidung von Mädchen nicht üblich ist. Und es gibt mehrheitlich christliche Länder wie Äthiopien, in denen Mädchen genitalverstümmelt werden. Der Brauch ist nicht auf Afrika beschränkt, sondern in muslimischen Ländern wie Indonesiens verbreitet, und zum Beispiel auch unter den Kurden im Irak. Es gibt verschiedene Formen der Beschneidung: Manchmal wird nur der äußere Teil der Klitoris entfernt, im schlimmsten Fall wird der gesamte äußere Genitalbereich mit den Schamlippen weggeschnitten und danach zugenäht. Nur ein winziges Loch bleibt offen, sodass selbst das Urinieren Probleme bereitet. Beim ersten Geschlechtsverkehr wird der Intimbereich dann gewaltsam wieder aufgerissen. Meist wird ohne Betäubung geschnitten, oft mit Glasscherben und unsterilisierten Messern. Die Gefahr für Infektionen ist dabei besonders hoch, es kommt vor, dass Mädchen verbluten, oder später an Wundstarrkrampf sterben. Zum Teil wird der Eingriff auch von Ärzten durchgeführt.

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Den gesamten Artikel lesen Sie in Séparée No.21.

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