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Im Garten der Lüste

separee
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Yvonne Sophie Thöne

Wer hat’s erfunden? Die Bibel. So müsste die fromme Antwort auf die Frage lauten, wo Sexualität und Erotik ihren Ursprung haben. Die Theologin Yvonne Sophie Thöne hat sich ein paar „Stellen“ mal genauer angesehen.

  • Text: Yvonne Sophie Thöne
    Illustrationen: Comfreak - www.pixabay.com

Das mag manch eine(n) verwundern, erwartet man von dem jüdisch-christlichen „Buch der Bücher“ doch eher Aussagen zur porentief reinen, komplett entsexualisierten Gottes- oder Nächstenliebe statt sinnlich-erotischer Ergüsse, gelten „das Christentum“ im Allgemeinen und „die Kirche“ im Besonderen doch bis heute als leib- und lustfeindlich.

Doch insbesondere ein Blick in das Alte Testament, jener erste Teil der christlichen Bibel, der mit dem Judentum als heilige Schrift geteilt wird, zeigt, dass dieses Buch bei Weitem nicht nur das geistliche und jenseitige Leben betrifft, sondern ganz konkret in das diesseitige Leben in all seinen Facetten hineinspricht – und auch einiges zum Thema Sexualität zu sagen hat.

Sexualität stellt hier ganz selbstverständlich einen integralen Bestandteil des Menschseins dar. Die Bandbreite der alttestamentlichen Texte, die „Liebe, Sex und Zärtlichkeit“ thematisieren, ist enorm. Natürlich ist da in vielen Erzählungen recht spröde von einer eher zweckdienlichen Sicht auf Sexualität zu lesen, wenn es im Rahmen der „Normalbiographie“ darum geht, Nachkommen zu zeugen (das fängt schon bei Adam und Eva an). Es wird aber auch erzählt von tragischen Dreiecksverhältnissen (etwa zwischen Abraham, Sarah und der Sklavin Hagar), missglückten Verführungsversuchen (wenn die Ägypterin den attraktiven wie moralisch standhaften Josef einfach nicht rumkriegt) und Ehebruch mit tödlichem Ausgang (z.B. wenn König David die schöne Batseba schwängert und deren Mann Urijah beseitigen lässt). Nicht die Schwiegermutter oder Blutsverwandte vögeln, fordern die Rechtstexte im Buch Levitikus, Sex während der Menstruation ist ohnehin untersagt. Sogar zärtliche Begegnungen zwischen Männern finden ihren Platz (die Erzählstücke von David und Jonathan sind vielschichtig und mehrdeutig) und auch die dunklen, zerstörerischen Seiten von Sexualität werden nicht verschwiegen, z.B. in der Erzählung von der Königstochter Tamar, die von ihrem eigenen Halbbruder vergewaltigt wird. Dabei werden ganz offen menschliche Erfahrungen und Gefühle wie Liebe und Hass, Sehnsucht und Eifersucht, Begehren, Lust, Schmerz oder Enttäuschung geschildert.

Sexualität bedeutet Menschsein

Wer hat’s nun aber erfunden, das Begehren, das Drängen der Geschlechter zueinander? Darauf gibt die Schöpfungserzählung Genesis 2 eine Antwort, die da lautet: Gott.

Generell ist dieser Text eine Fundgrube für eine feministische Neulektüre, haben sich doch etliche Missverständnisse in den Köpfen über die Jahrhunderte festgesetzt. Ist es nicht so, dass zuerst der Mann geschaffen wird und dann aus seiner überzähligen Rippe die Frau gebastelt wird? Ein genauer Blick in den hebräischen Text verrät: Genesis 2 ist nicht solch ein Macker-Text, wie es viele Kirchenväter und Exegeten lange Zeit gerne gehabt hätten. Gott formt nicht den „Mann“, sondern einen geschlechtsneutrale ersten Menschen, einen Erdling (adam) aus der Ackererde (adamah). Anschließend wird dieser Erdling von Gott geschlechtlich ausdifferenziert in Mann und Frau, indem Gott aus einer Seite (keiner „Rippe“!) des Menschen einen weiteren baut: Die Frau. Einst ein Erdlingswesen, nun Mann und Frau. Dadurch existiert die partnerschaftlich-sexuelle Anziehung zueinander, die als Streben nach Komplettierung zu verstehen ist: Mann und Frau fühlen sich zueinander hingezogen, da sie einst ein Mensch, ein Fleisch waren. Sie wollen wieder „ein Fleisch“ werden. Erst durch die Vereinigung wird in biblischer Sicht der einzelne Mensch wieder ein voller Mensch. Das ist doch ein schönes Bild von Sexualität – wenn auch zugegeben ziemlich heteronormativ.

Vom Kommen, Erkennen und Blumenpflücken

Wo Sexualität doch so ein wichtiger Bestandteils des alttestamentlichen Menschen ist, überrascht es umso mehr, dass kein gesondertes Verb für den Geschlechtsverkehr existiert. Stattdessen finden sich unterschiedliche Ausdrücke, die jeweils einen anderen Aspekt hervorheben:

Eine häufige Umschreibung für Sex wird mit dem Verb „kommen, hineingehen“ (hebr. bo) ausgedrückt. Dieses Verb betont den körperlichen Vorgang des Eindringens des männlichen Penis in die weibliche Vagina. So „kommt“ beispielsweise Abraham zu der Sklavin Hagar.

Das Verb „erkennen, erfahren“ (hebr. jada) bezeichnet nicht nur, wie im Deutschen, die intellektuelle Erkenntnis, sondern meint im Hebräischen ein umfassend-ganzheitliches Erkennen, an dem alle Sinne beteiligt sind. Wenn nun also Adam seine Frau Eva „erkennt“, heißt das nicht, dass er in der Lage ist, eben diese Frau mit dem roten Fellmantel zwischen all den Bäumen wahrzunehmen, sondern betont dies den Moment des innerlichen Erfahrens und Vertrautseins beim Sex.

Oft heißt es auch, dass sich ein Mann zu einer Frau – oder umgekehrt – „legt“ (hebr. schachaw). Dieser Begriff betont das körperliche Beieinanderliegen der beiden Partner. Beispielsweise „legen“ sich Lots Töchter zu ihrem betrunkenen Vater, um so Nachkommen für sich zu zeugen.

Andere Umschreibungen sind beispielsweise „aufdecken“, „scherzen“ oder „Blumen pflücken“. Bis heute hat sich übrigens die Metapher des Blumenpflückens in dem lateinischen Begriff „deflorieren“, entjungfern, erhalten.

Letztlich müsste uns diese uneigentliche Rede über Sexualität bekannt vorkommen: Im Deutschen bumsen (Schallnachahmung für „dumpf dröhnen, heftig anprallen“), poppen (von Englisch „to pop“, „knallen“, „aufplatzen“) oder nageln wir (dahinter steckt das Bild des heftigen Hammerschlags – Bamm bamm!). Bildhaft ist auch der verbreitete Ausdruck vom „miteinander schlafen“ – man schläft ja eigentlich ganz und gar nicht während dieser Aktivität, und falls doch, spricht das nicht für die Qualität des anderen als Liebhaber.

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Weiter im Text - über den gar nicht flotten Dreier zwischen Jakob, Lea und Rahel sowie das Hohelied - geht es in Séparée No.19.

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